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Annelise Weigel, 100 Jahre, 100ster Geburtstag

Anneliese Weigel wird 100 – ein Leben zwischen Bombennächten und Bingo

Annelise Weigel feierte ihren 100. Geburtstag. Vom Bunkerunterricht in Köln über Bombennächte und den Wiederaufbau Wiesbadens bis zu einer lebenslangen Liebe zeigt ihr Leben, wie Mut, Humor und unerschütterliche Neugier die Jahrzehnte überdauern – und selbst im Seniorenheim für Freude sorgen.

Volker Watschounek 3 Stunden vor 0

100 Jahre, ein Brief, eine Liebe, Krieg und Neubeginn: Anneliese Weigels Geschichte erzählt von Mut, Humor und einem Leben voller Tatkraft.

Wenn Anneliese Weigel lacht, blitzen die Augen hinter der getönten Brille, und das Lachen steckt an. „Ich habe einfach immer weitergemacht“, sagt sie – ein Satz, so schlicht wie ein Lebensrezept. Am Montag feierte sie im Kreis ihrer Familie ihren 100. Geburtstag.

Die gebürtige Kölnerin, Jahrgang 1925, erlebte Bombennächte, Neubeginn und Nachkriegszeit. Sie stand in Trümmern und sah, wie sich Deutschland neu erfand. „Wir waren sechs Kinder, wir haben gestritten, gespielt, gelacht – und überlebt.“ Heute lebt sie in Wiesbaden, umgeben von ihren Kindern Herbert und Birgid, vier Enkeln und sieben Urenkeln. Und sie lacht weiter.

Vom Bunker ins Rathaus

Mit 14 besuchte Anneliese noch die Schule – im Bunker. Wenn die Sirenen heulten, trugen Lehrer und Schüler Schulhefte und Kreide in den Hochbunker von Köln-Weidenpesch. „Da war Unterricht in der Schleuse, nebenan war ein Laden, und gekocht wurde auch.“ Der Bunker war wie eine kleine Stadt für sich.

Nach der Schule begann sie eine Verwaltungslehre bei der Stadt Köln. In zu vielen Nächten wurde sie zusammen mit zwei anderen jungen Mädchen beauftragt, das Rathaus zu bewachen. „Wir waren 16, allein in diesem riesigen Gebäude. Heute undenkbar!“ lacht sie. Wenn eine weitere Bombennacht drohte, war es ihre Aufgabe, wichtige Akten und Hebebücher zu retten, bevor draußen der Himmel brannte. Bald aber sollte sie in den Reichsarbeitsdienst eingezogen werden. Sie folgte der Empfehlung ihres Vaters und verpflichte sich auf Zeit. Und dort blieb sie dann bis zum Kriegsende.

Eine Liebe im Luftangriff

Als „Arbeitsmaid“ reiste Anneliese viel und lernte auf Arbeitseinsätzen viele Gegenden des damaligen Deutschen Reiches kennen. 1944, während eines Luftangriffs auf Stuttgart, traf sie im Zug, der nicht in den Bahnhof einfahren durfte, auf den jungen Soldaten Karl-Heinz Weigel. Aus dem vor den Bombern verdunkelten Zug heraus sah man die brennende Stadt, unter den Reisenden machten sich Angst, Wut und Aggression breit. Der junge Mann versuchte zu vermitteln und zu beruhigen. Man kam ins Gespräch und sich näher… „Durch seine Anwesenheit hat er mir auch Angst genommen!“ Man begegnete sich inmitten der Kriegswirren noch gelegentlich, dann wurde Karl-Heinz an die Ostfront verlegt und geriet in sowjetische Gefangenschaft. Aus Donezk, damals Stalino, drangen zunächst keine Nachrichten ins zusammengebrochene Deutschland

Anneliese wollte natürlich wissen, ob er überlebt hatte. Ein erster Brief, den sie für Karl-Heinz seinen Eltern brachte, führte zur Wendung. Im Frühjahr 1946 machte sie sich mit einem kleinen Zettel, auf dem seine Adresse stand, auf den Weg von Köln nach Wiesbaden, teils mit dem Zug, teils mit dem Fahrrad. Aus der britischen Besatzungszone durch die französische in die amerikanische; aus der völlig zerbombten Domstadt ins relativ verschonte Wiesbaden: Ohne Passierschein für die Grenzübertritte ein Abenteuer: „Aber ich wollte ihn finden.“

Sie fand ihn. Karl-Heinz, von der Gefangenschaft abgemagert, kahl geschoren, öffnete selbst die Tür. „Ich war völlig überrascht, dass er da stand – und dass er mich nicht vergessen hatte.“ Seine Mutter bereitete einen einfachen, wässrigen Möhreneintopf zu, doch für Anneliese bedeutete er viel: „In der amerikanischen Zone war die Versorgungslage deutlich besser als in Köln. Das war nach dem Krieg ein reichhaltiges Essen. Ich habe nie wieder Möhren gegessen, ohne daran zurückzudenken.“

Einige Zeit lebte man noch getrennt, Anneliese mit ihren Geschwistern in einer Notunterkunft im Umland Kölns. Die Sorgen um Lebensmittel- und Brennstoffbeschaffung prägten den Alltag, doch gelegentlich besuchte man sich. Immer ein Abenteuer im besetzten Land.

Alltag in Wiesbaden

1948 heirateten sie, ein Jahr später kam ihr Sohn Herbert zur Welt, später die Tochter Birgid. Und nach der Hochzeit zog das Paar in die Etagenwohnung der Schwiegereltern in der Wiesbadener Wörthstraße – Wohnraum war knapp und unerschwinglich. –, wo sie mit den Schwiegereltern unter einem Dach lebten. Das beengte Leben brachte Konflikte mit sich. „Als meine Schwiegermutter starb, fing mein Leben an“, sagt Anneliese heute trocken.

Es folgten Währungsreform, Gründung der Bundesrepublik, die Lebensverhältnisse verbesserten sich langsam aber stetig. Karl-Heinz arbeitete bei der Stadtkämmerei Wiesbaden, tippte Bescheide, führte Akten und half beim Wiederaufbau der Stadtfinanzen. „Er war gewissenhaft. Korrekt, pünktlich, ordentlich.“ So stieg er zum Leiter der Haushaltsplanstelle auf. Anneliese kümmerte sich wie derzeit noch üblich um Haushalt, Kinder und Schwiegervater. „Ich habe gekocht, geputzt, genäht – einfach das gemacht, was getan werden musste. Wir hatten am Anfang nicht viel, aber es reichte.“ Abends saßen sie zusammen im kleinen Wohnzimmer, sie strickte, er las Zeitung. Anfang der Sechzigerjahre zog man in ein Reihenhaus in er Brunhildenstraße, Anneliese wurde noch Krankenschwester im Josephshospital, Karl-Heinz verstarb 1987.

Dann aber füllten Enkel das Haus wieder mit Lachen und Stimmen. „Ich habe mich nie gelangweilt. Es war Arbeit – aber schöne Arbeit.“

Aktiv im Seniorenheim

Bis 2023 lebte sie noch im eigenen Haus, wurde gelegentlich als Zeitzeugin in Schulen geladen. Im Haushalt konnte sie mit Hilfen etliches noch selbst erledigen und bewahrte sich ihre Aktivität bis heute ins Seniorenheim. Sie spielt gerne Bingo – und gewinnt oft die Schokolade, die sie verschmitzt ihrem Schwiegersohn schenkt. Sie macht mit beim Sitztanz, besucht Kaffeesitzungen und Zeitungskreise, freut sich auf den Besuch von Therapiehunden. „Ich mache alles mit, was angeboten wird, es macht Spaß, dabei zu sein.“

Heute wohnt Anneliese im EVIM-Seniorenzentrum Kostheim und ist dort Sprecherin ihrer Wohngruppe – eine Art Vermittlerin zwischen Bewohnern und Leitung. Sie kümmere sie sich um die Belange aller, meist sind es Missverständnisse, wenn es Streit oder Sorgen gibt, erzählt sie ruhig. „Ich sage meine Meinung. Immer höflich, aber deutlich.“ Ich kläre das dann. Ich bin ja nicht umsonst 100 geworden.“

Ihr Geheimrezept? „Abends schlafen gehen und morgens wieder aufstehen.“

Foto – Anneliese Weigel wir 100. ©2025 Volker Watschounek

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